24. Januar 2023 | Gerhard Gregori
Ich begreife mich selbst nicht, denn ich möchte von ganzem Herzen tun, was gut ist, und tue es doch nicht. Stattdessen tue ich das, was ich eigentlich hasse.
Ach, Paulus! So wenig hattest du dich im Griff? Bei all den Erfahrungen, die du mit Gott gemacht hast? Bei all deinen Leistungen für die noch junge Christenheit und bei all deiner Hingabe an den Fortschritt des Evangeliums! Ich fasse es nicht. Ein Paulus, Musterbeispiel an Hingabe an die Interessen Gottes, tut nicht das, was er will, sondern das, was er verabscheut, die Sünde? Schwer vorstellbar, nicht wahr? Theologen ringen um das richtige Verständnis seiner Aussage. Ist sie autobiografisch zu verstehen? Und wenn nicht, meint er den bekehrten oder den unbekehrten Menschen? Für mich ist die Sache klar. In diesem umstrittenen Abschnitt ist sehr wohl vom bekehrten Menschen die Rede. Denn wenn ich weiterlese, finde ich mich in meiner Annahme bestätigt. „Ich liebe Gottes Gesetz von ganzem Herzen. Doch in mir wirkt ein anderes Gesetz, das gegen meine Vernunft kämpft. Dieses Gesetz gewinnt die Oberhand und macht mich zum Sklaven der Sünde, die immer noch in mir ist.“ (V. 22–23 NLB) Als Realist, der ich bin, klingt es für mich plausibel, dass Paulus hier mit durchaus erschreckender Deutlichkeit den Kampf beschreibt, dem sich jeder Mensch – auch nach der Kehrtwende zu Christus – ausgesetzt sieht. Diese Diskrepanz zwischen dem, was ich eigentlich will, und dem, was mir meine sündige Natur vorschreiben möchte, ist eine Herausforderung, der ich auch als Christ oft erliege. Der Apostel stellt sich hier auf eine Stufe mit all jenen, die den Kampf mit der Sünde aufgenommen haben und bei selbstkritischer Prüfung feststellen müssen: Ich habe versagt und versage immer noch. Ich kämpfe mit allen mir verfügbaren Mitteln gegen das Böse, um es gleichzeitig dennoch zu tun. Es wäre grob fahrlässig, dieses „Geständnis“ eines Paulus als Entschuldigung für unsere menschliche Schwäche zu werten. Doch die Sünde endgültig zu besiegen liegt nicht in meiner Kraft. Dazu braucht es das Eingreifen von außen: Nur Gott kann das Dilemma lösen. Danke, lieber Paulus, für deine Aufrichtigkeit. Und danke, Herr Jesus, dass du mir ein erfülltes Leben schenkst. Du bist die Lösung, nach der ich mich so sehne.
© Advent-Verlag Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung